Liebe Freundinnen und Freunde von Kinder in Rio,
als ich zum ersten Mal ein Projekt vom Kinder in Rio e.V. besuchte, fuhren wir in eine Region von Rio de Janeiro, die ich bis dahin noch nicht kannte: das Viertel „Complexo 18“ im Norden der Stadt. Die Straße führte einen Hügel hinauf. Zunächst wirkte das bunte und geschäftige Treiben auf der Straße nicht ungewöhnlich. Doch dann nahm ich aufmerksam kontrollierende Blicke um mich herum wahr. Und Pistolen, die am Hosenbund mancher Männer und auch Jungen aufblitzten. Ein beklemmendes Gefühl machte sich in mir breit. An unserem Ziel angekommen, stiegen wir aus dem Wagen, gingen ein paar Schritte weiter den Hügel hinauf, dann durch ein Tor – und ich konnte aufatmen: Schlagartig waren wir in einer anderen Welt: Kinderlachen, Essensgeruch, leuchtende Augen, warme Umarmungen.
Das war 2015, als ich die Kampagne „Rio bewegt.Uns.“ betreute, und in dem Zuge die Kita Pintinho Dourado besuchte. Dieser Besuch wirkt bis heute nach. Diese friedliche Oase, die dort für die Kinder existierte. Kinder, die so fröhlich für uns sangen, zusammen spielten, aßen und friedlich schliefen. Ich erinnere mich, wie sie unter bunten Decken, auf Matten nebeneinander auf dem Boden lagen. Über ihren Köpfen Einschusslöcher. Von Schusswechseln der Drogenbanden, die das Viertel in ihrer Hand haben.
Mit diesen gegensätzlichen Gefühlen verließ ich das Viertel wieder. Einerseits war mein Herz voller warmer Erinnerung an die schönen Begegnungen und andererseits schwer wegen der Umstände, in denen die Kinder leben müssen.
Ein Jahr später kehrte ich nach Brasilien zurück. Mittlerweile hatte ich durch die Kampagne den Kinder in Rio e.V. in Deutschland besser kennengelernt. Die engagierten ehrenamtlichen Mitglieder beeindruckten mich bei unseren regelmäßigen Treffen. Als ich in Nova Friburgo und Rio weitere Projekte, Kinder und MitarbeiterInnen kennenlernte, konnte ich noch besser nachvollziehen, was diese Mitglieder in Deutschland antrieb. Spätestens nach den zwei Tagen mit intensiven Gesprächen, ansteckendem Lachen und traurigen Geschichte war ich – das weiß ich jetzt rückblickend – schon innerlich ein Teil vom Kinder in Rio e.V. geworden. Und nun bin ich es seit Mitte dieses Jahres auch offiziell, als Vorstandsmitglied.
Als ich nun vor drei Monaten erfuhr, dass diese Oase im Juli von den Drogengangs dauerhaft als Versteck in Beschlag genommen und schon teilweise zerstört wurde, hat mich das unfassbar traurig gemacht. Sofort hatte ich wieder all die kleinen Kindergesichter vor Augen. Sie brauchen doch den Schutz und die Geborgenheit so dringend…
Aufgrund der Kita-Schließungen wegen des Coronavirus seit März dieses Jahres konnten dort keine Aktivitäten mehr stattfinden. Das Gebäude liegt strategisch sehr günstig ganz oben auf dem Hügel, ein perfekter Ort für die Drogenmafia, um das Viertel zu kontrollieren. Sollte die Kita nicht freiwillig geräumt werden, bedeutet das, dass Gebäude und Inneneinrichtung für den Verein und die Kinder verloren sind. Verhandeln ist mit den Drogenbanden nicht möglich.
Doch der Kinder in Rio e.V. hat reagiert und bereits ein neues Gebäude gemietet, um den Kindern so schnell wie möglich wieder einen sicheren Ort bieten und sie von der gefährlichen Straße holen zu können. Die Sicherheit, die regelmäßigen Mahlzeiten, die feste Struktur, das gemeinsame Spielen und Lernen fehlen ihnen.
Bis die Kinder zum neuen Schuljahr im Februar dort einziehen können, ist aber noch viel zu tun, denn die Räumlichkeiten müssen umgebaut und komplett neu eingerichtet werden. Es fehlt an Möbeln, Materialien, Kücheneinrichtung, Spielzeug... Dafür benötigen wir Ihre Spende. Damit die Kinder im „Complexo 18“ wieder eine kleine friedliche Oase bekommen, in der sie Kind sein dürfen, ganz ohne Angst.
Wir wünschen Ihnen und Ihren Familie auch in diesen schwierigen Zeiten in Deutschland ein friedvolles Weihnachtsfest und bedanken uns für die wertvolle Unterstützung in diesem doch so ganz anderen Jahr 2020.
Bleiben Sie gesund!
Christina Weise
Vorstandsmitglied Kinder in Rio e.V.